Ich träume lieber Fritz den Augenblick …

Unter den zahlreichen Briefwechseln zwischen Göthe und seinen Freunden, deren Kenntniß wir den letzten Jahren verdanken, ist der vorliegende zwar nicht einer der umfangreichsten, aber ohnstreitig einer der interessantesten und wichtigsten. Nicht blos bietet er ganz neue Seiten für die Erkenntniß des Verhältnisses zwischen Göthe und Jacobi, welches bisher meist falsch dargestellt ist, sondern eröffnet uns auch eine tiefe Einsicht sowohl in die Natur Jacobi’s, die so klar und einfach ist, daß sie sich auch der gewöhnlichen Betrachtung nicht verleugnet, als besonders Göthes, des reichen unergründlichen Geistes, und giebt dabei viele Aufschlüsse über seine Studien und Schriften, die wir mit Dank annehmen. Indem nun das Verhältniß zwischen den beiden Männern sich als ein durchaus herzliches darstellt, fühlen wir uns von demselben von Brief zu Brief immer mehr angezogen und weilen mit Behagen in dem trauten Freundeskreise, der sich vor unsern Augen erweitert und die anziehendsten Gestalten aus Göthe’s Leben und vorführt. Darum kann man wohl jeden gemüthvollen Menschen einladen, in diesen Garten der köstlichsten Freundschaftsblumen einzutreten und an ihrem Dufte sich zu laben, und fühlt sich dem verehrungswerthen Herausgeber, dem Sohne Friedrich Jacobi’s, für die Sorgfalt der Anordnung zu Danke verpflichtet.

Es liegt aber nicht in dem Zwecke dieser Zeitschrift, auf den Werth dieser Briefsammlung im Allgemeinen aufmerksam zu machen, sondern vielmehr an dem Einzelnen nachzuweisen, was wir für die Kenntniß Göthe’s und seiner Dichtungen aus ihr gewinnen.

Dem Briefwechsel mit Jacobi ist als Einleitung ein kurzer von Göthe mit der Gattin Jacobi’s, Helene Elisabeth, geborene von Clermont, vorausgeschickt, die der Dichter früher kennen gelernt hatte als ihren Gatten und in seinem Leben auch mehrfach erwähnt. Es sind neun von Göthe und zwei von Frau Jacobi, aus den J. 1778 und 1774; dazu kommen zwei Briefe Göthe’s an Johanna Fahlmer, eine Tante Jacobi’s, die zweite Gattin von Johann Georg Schlosser, aus den Jahren 1778 und 1777. In diesen Briefen herrscht durchweg der Stil der Sturmperiode, es geht bunt darin her, recht frisch, genial lustig, man macht nicht viel Umstände, Göthe läßt sich auch wohl etwas weit gehen, wird genial derb (besonders in dem ersten Briefe an Johanna Fahlmer), aber es ist dabei doch ein so gemüthliches Leben, daß man die kleinen Lascivitäten leicht mit in den Kauf nimmt. Nur wegen der tiefsinnigen Liebe Göthe’s zu seiner verstorbenen Schwester muß namentlich der 13. Brief an Joh. Fahlmer hervorgehoben werden. [fortgesetzt …]

Q.: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Unter besonderer Mitwirkung von Robert Hiecke und Heinrich Viehoff herausgegeben von Ludwig Herrig. Druck und Verlag von George Westermann, Braunschweig 1849. Sechster Band (1849), Seite 333–340.

Die ganze Rezension aus der Feder von Prof. Dr. Ludwig Hölscher des Briefwechsels in der Rubrik ›Beurtheilungen und kurze Anzeigen‹ gibt es hier (unter ›Download‹) zu lesen.

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Datum: Sonntag, 20. März 2011 14:41
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