R. Safranski: Goethe und Schiller. Geschichte einer Freundschaft (W. Butzlaff)

Aus aktuellem Anlass – am 17.08.09 erscheint, von vielen bereits erwartet, das neue Buch von Rüdiger Safranski: Goethe und Schiller. Geschichte einer Freundschaft (Hanser Verlag) – veröffentlichen wir hier und heute, gleichsam als ›Vorabdruck‹, eine Rezension dieser Novität aus der Kritiker-Feder unseres Autors, Dr. Wolfgang Butzlaff (Kiel). Sie ist Teil des Sammelbandes mit dem Titel »Musensohn oder Rattenfänger. Goethe-Rezeption auf vier Ebenen«, dessen Erscheinen im Oktober 09 auch das Resümee einer lebenslangen Beschäftigung des erprobten Goethe-Spezialisten mit der Klassik anlässlich seines Geburtstags darstellt. Der Band wird im Rahmen einer festlichen Feierstunde zu Ehren des Jubilars/Autors in den Räumen der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek am 31. Oktober 2009 präsentiert.

Die Dioskuren der deutschen Klassik

Verleger und Autoren werden es nicht gerade begrüßt haben, daß 2009 schon wieder Anlaß besteht, die Erinnerung an Schiller aufzufrischen. Sind nicht vor vier Jahren erst anläßlich seines zweihundertsten Todestages umfangreiche Biographien und erhellende Spezialstudien genug erschienen, um jetzt zum zweihundertfünfzigsten Geburtstag des Dichters auf sie zurückgreifen zu können? Hat nicht gerade Rüdiger Safranski mit dem Untertitel »Die Erfindung des deutschen Idealismus« 2004 in seinem Schillerbuch auch das gesamte geistige Umfeld neu aufgearbeitet und ausgebreitet? Innerhalb kurzer Zeit dürften doch kaum so viele bisher unbekannte Einzelheiten von Schillers Leben und Werk hinzugekommen sein, daß ein neues Gesamtbild gerechtfertigt wäre.

Wenn nun der Hanser Verlag trotzdem ein neues Buch von Safranski über die deutsche Klassik herausbringt, so scheint der Titel »Goethe & Schiller. Geschichte einer Freundschaft« tatsächlich etwas Neues zu versprechen. Aber schon bisher konnte keine reine Schiller- oder Goethe-Monographie darauf verzichten, das Verhältnis der beiden Dichter zueinander in aller Ausführlichkeit darzustellen. Safranski hat somit nichts anderes getan, als einen immer schon bekannten, allerdings zentralen Aspekt der Weimarer Klassik zu isolieren.

Ausgangspunkt der Untersuchung ist das erste Zusammentreffen Goethes und Schillers im Dezember 1779, als Goethe und sein Herzog Karl August in Stuttgart den württembergischen Herzog Karl Eugen besuchten und am Stiftungsfest der Karlsschule teilnahmen. Für die Goethe-Schiller-Beziehung eine sehr einseitige Angelegenheit; denn während Schiller, dem mehreren Silbermedaillen und Diplome überreicht wurden, bereits ein glühender Goethe-Verehrer war, wird bei Goethe der zwanzigjährige Medizinstudent Schiller trotz seiner Auszeichnungen kaum Spuren hinterlassen haben. Eine Begegnung, die immer auf Gegenseitigkeit beruht, war es demnach nicht. Vermutlich wurde Goethe erst auf Schiller aufmerksam, als im Sommer 1781 die Buchausgabe der »Räuber« erschien, oder sogar erst, als die Mannheimer Premiere des Stückes im Januar 1782 Furore machte. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß Schiller später, als sie befreundet waren, Goethe auf das Zusammentreffen in Stuttgart angesprochen oder daß Goethe sich von sich aus daran erinnert hat. Zu sehr waren beide auf ihr gegenwärtiges Wirken und ihre Zukunftsprojekte konzentriert.

In den getrennten Entwicklungslinien der beiden Dichter bis zu ihrer ersten wirklichen Begegnung 1788 in Rudolstadt entdeckt Safranski eine Gemeinsamkeit: beide hätten sich auf der Flucht befunden. Schiller aus Stuttgart auf der Suche nach einem ungefährdeten Aufenthaltsort, und Goethe aus Weimar nach Italien. Schon hier fällt auf, daß Safranski nicht genug betont, welche Ungleichheit das Verhältnis der beiden von Anfang an und auch nach ihrem Arbeitsbündnis im Jahre 1794 charakterisierte. Der philosophische Kopf Schiller – um die Titelbegriffe seiner Antrittsvorlesung aufzunehmen – sieht sich zeitweise gezwungen, als Brotschriftsteller zu arbeiten, anstatt seine eigenen, unabhängigen Pläne zu verwirklichen. Zwar wird auch Goethes Schaffenskraft manchmal durch Krankheiten beeinträchtigt, aber längst nicht wie die Schillers, der nach seinem Zusammenbruch in einem Erfurter Konzert 1791 nie wieder ganz gesund wird. Davon, daß er trotzdem mit durchspielten und durchzechten Nächten Raubbau an seiner Gesundheit treibt, erfährt man bei Safranski nichts. Während er in seinem Literaturverzeichnis Sigrid Damms Buch über Christiane Vulpius anführt, fehlt die 2004 erschienene Biographie der Charlotte Schiller von Eva Gesine Baur. Gerade dieses Buch entwirft aber ein sehr realistisches, teilweise erschütterndes Bild der Lebensumstände im Weimarer Hause Schiller. Als legitimierte Ehefrau eines Dichters hatte es Schillers Charlotte vermutlich nicht leichter, möglicherweise sogar schwerer als die im Verborgenen wirkende Christiane. Über diese Partnerinnen-Problematik verliert Safranski jedoch kein Wort.

Ihm kommt es in erster Linie darauf an, die unterschiedlichen geistigen Positionen der beiden Dichter, ihre Annäherung und gegenseitige Befruchtung offenzulegen. Mit reichem Quellenmaterial, vor allem längeren Briefzitaten, konzentriert er sich auf die Goethe-Schiller-Beziehung als Ideengeschichte. Was er als Freundschaft bezeichnet, war aber lediglich eine Arbeitsfreundschaft, in der es um Goethes und Schillers literarisches Schaffen und dessen theoretische Grundlagen ging. Den Unterschied dieser Arbeitsfreundschaft zu umfassenden, alle Lebensbereiche einbeziehenden Freundschaften hätte Safranski aufzeigen können, indem er Schillers Freundschaft mit Körner, Goethes Freundschaft mit Zelter heranzog.

Es ist nicht auszuschließen, daß Safranski bei der Vorbereitung dieses Buches auch philologische Feinarbeit geleistet hat. Doch scheint er anzunehmen, deren Ergebnisse seien für eine breitere Leserschicht zu fachspezifisch und daher auszuklammern. Aber erst wenn man weiß, daß Schiller seine kritischen »Anmerkungen« zu »Wilhelm Meister« in einer Art Liste zusammenstellte, die Goethe dann regelrecht abarbeitete; wenn man erfährt, was genau Schiller als Kritiker an »Egmont« bemängelte und was er als Dramaturg änderte; wenn man sich einmal genauer ansieht, mit welch schonender Wortwahl er dem Schriftsteller-Kollegen seine Kritik beibrachte; wenn man schließlich feststellt, daß Schiller sich noch in seinem allerletzten Brief an Goethe kritisch mit einem seiner Texte auseinandersetzt, erst dann gewinnt man detaillierte Einblicke in die literarische Werkstatt der Arbeitsfreunde.[1] Für Goethes entsprechende Mitarbeit an Schillers Dramen existierenden derartige schriftlich fixierte Zeugnisse leider nicht.

Schiller hat einen größeren Teil seiner Arbeitszeit als Goethe in ihr Teamwork investiert. Auch das verdiente ausgesprochen zu werden. Safranski verschweigt außerdem, daß sich Goethe nicht scheute, Schiller einmal regelrecht zu mystifizieren, indem er ihm sein »Elpenor«-Manuskript ohne Verfasserangabe zur Beurteilung zuschickte. Das läßt den Schluß zu, Goethe habe in der Arbeitsfreundschaft die ihm eigene Ironie nicht völlig ausgeschaltet.

Einige kleinere inhaltliche oder sprachliche Fehler seien hier in einer Anmerkung mitgeteilt, damit sie vom Lektorat in weiteren Auflagen korrigiert werden können.[2] In einem Falle aber wird Safranski nicht umhin können, seinen Text selbst zu berichtigen. Er sagt auf Seite 85 von dem nach der Kampagne in Frankreich erschöpften Goethe: »Er sucht am Ende des katastrophalen Feldzugs Zuflucht im heimatlichen Frankfurt« und bezieht sich dabei auf einen Brief an Ehepaar Herder. Das liest sich so, als sei es wirklich so gewesen. Goethe hatte, als er den Brief am 16. Oktober 1792 in Luxemburg schrieb[3], auch tatsächlich die Absicht, sich bei seiner Mutter zu erholen. Doch da kurz darauf die Franzosen Frankfurt besetzten, änderte er seinen Plan und fuhr über Koblenz und Trier nach Düsseldorf-Pempelfort zu seinem alten Freunde Fritz Jacobi. Er brauchte einen ganzen Monat (vom 6. November bis zum 4. Dezember), um wieder zu Kräften zu kommen. Erst im Mai 1793 besuchte er während der Belagerung von Mainz dann auch seine Mutter.

Originellster Beitrag des Buches ist ein Epilog, in dem Safranski »Schillers zweite Karriere im Geist Goethes« verfolgt, anders gesagt, untersucht, wie die Freundschaft Goethes Leben auch nach Schillers Tod beeinflußt und geprägt hat. Weiterhin wäre auch zu fragen möglich gewesen, wie sich in der Klassik-Rezeption bis zur Gegenwart die Bewertung und Gewichtung der Dichter-Freunde bis zur heutigen Überlegenheit Goethes entwickelt hat. Doch das hätte wohl den Rahmen dieses Buches gesprengt.

Ungeachtet der hier vorgetragenen Einzelkritik informiert Safranski zuverlässig über sein Thema und erleichtert die Übersicht durch Aufteilung in abgerundete Kapitel, denen jeweils ein Resümee in Stichworten vorangeht. Ein formales Gerüst, mit dem er sich schon in seinen vorangegangenen Büchern ein übergreifendes, individuelles Gestaltungsprinzip geschaffen hat.

Bei all den Vorzügen auch dieses Buches ist abschließend dennoch zu fragen, welche Leserschicht es ansprechen könnte. Für den Kenner der Klassik erübrigt sich die Lektüre, da er in der Sache nichts Neues erfährt und durch Safranskis ziemlich eng an den Fakten orientierte Darstellung auch kaum zu neuem Überdenken des Goethe-Schiller-Komplexes angeregt wird.

Beim literarisch interessierten Laien werden Kenntnisse der Hauptwerke vorausgesetzt, wie sie heute kaum noch jemand mitbringt. Daher wird er Safranskis Text nicht ohne Verständnislücken in sich aufnehmen können. Das spricht nicht gerade für einen Bestseller-Erfolg des Buches.

Doch nach den Gesetzen des Marktes, nach denen der Ruf des Autors, das Public-Relation-Potential des Verlages sowie Attraktivität und Aktualität des Themas über die Verbreitung eines Buches entscheiden, wird auch dieser neue Safranski seine Käufer finden. Sie werden sich auch kaum davon abschrecken lassen, daß der erste Satz des Buches – „Freundschaft im eminenten Sinne ist selten.“ – inhaltlich und stilistisch mißglückt ist.

Rüdiger Safranski: Goethe & Schiller. Geschichte einer Freundschaft. 320 Seiten. Hanser Verlag, München 2009. ISBN 978-3-446-23326-3. Euro 21,50.


[1] Dazu der Aufsatz des Verfassers „Schiller als Kritiker Goethes“ in: Musensohn oder Rattenfänger. Goethe-Rezeption auf vier Ebenen; Bernstein, Bonn 2009, in Vorb. (ersch. 31. Okt.).

[2] Auf S. 22 heißt es: „Wirklich zog Goethe andere Autoren des Sturm und Drang … wie ein Kometenschweif hinter sich her.“ Da Goethe vermutlich nicht selbst der Schweif, sondern der Komet sein soll, muß es richtig heißen: „wie einen Kometenschweif.“

Auf S. 23 ist im Satz „In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wurden die Nachrichten vom Genietreiben in Weimar spärlicher“ die Zeitangabe so, wie sie dasteht, gar nicht gemeint. Goethes Wohnsitz war von November 1775 ab in der gesamten zweiten Hälfte der siebziger Jahre Weimar. Das Genietreiben ging erst im zweiten Teil dieser Zeit zurück. Also muß er richtig heißen: „In den letzten siebziger Jahren“, oder, eleganter: „Gegen Ende der siebziger Jahre“.

Auf S. 90 berichtet Safranski, daß Schiller Ende 1792 dabei ist, „ein Sendschreiben an die Französische Republik, deren Ehrenbürger er seit wenigen Wochen ist, zu verfassen.“ Erst 1798 kommt es, wie auf S. 91 vermerkt, zur verspäteten „Übersendung des Ehrenbürgerbriefes“. Schiller wurde aber nicht zum Ehrenbürger, sondern zum „citoyen“ ernannt, also gewissermaßen zum ganz normalen Bürger wie von Geburt her alle anderen Franzosen. In der Chronik seines Schillerbuches (München 2004, S. 535) hat das Safranski selbst als „das französische Bürgerrecht“ verzeichnet. Auf S. 90 ist daher der Ehrenbürger durch den einfachen Bürger zu ersetzen, und auf S. 91 „Ehrenbürgerbriefes“ durch „Bürgerdiploms“, einen Begriff, den auch Gero von Wilpert auf S. 217 seiner Schiller-Chronik verwendet.
Auf S. 115 muß es richtig heißen: „Eine Suite von drei Zimmern … stand Schiller zur Verfügung“, auf S. 147 „seinem alten Freund …vorwarf.“

[3] WA IV, 10, S. 35 f.

Diese Kritik aus der Feder von Dr. Wolfgang Butzlaff lädt vielleicht den einen oder anderen zu einer Auseinandersetzung mit dem besprochenen Buch ein und regt zu eigenen Gedanken, ja vielleicht zu weiterer Kritik oder ›Kritik der Kritik‹ ein. Es würde uns freuen, wenn dafür damit auch hier ein Raum geboten werden könnte … Last but not least wünschen wir eine angenehme und gewinnbringende Lektüre!

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Datum: Freitag, 14. August 2009 13:07
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