Fremde Feder #4

Mitmensch, wie hältst du es mit der Sprache?

Liebe Mitmenschen,

etwa alle zwei oder drei Jahre müssen wir vom TÜV überprüfen lassen, ob unser Auto noch verkehrssicher ist. Ob noch alles gut funktioniert im Motor. Ob unser geliebtes Fortbewegungsmittel uns nicht so ins Schleudern bringen könnte, daß wir mit ihm uns und andere totfahren. Wenn wir schön artig zur Inspektion gefahren sind, macht uns diese Kontrolle nichts aus. An kleinen oder größeren Reparaturen kommen wir im Laufe eines Autolebens nicht vorbei, dafür müssen wir blechen, Blech für Blech, das ist normal. Wenn sich keine Ausbesserung mehr lohnt oder ein Unfall zum Totalschaden führt, wird die ganze Verbrennungsmaschine einfach weggeworfen, verschrottet.

Auch andere Geräte, die wir im Haushalt oder für unsere Bequemlichkeiten benutzen, müssen gepflegt und gewartet werden. Waschmaschine, Geschirrspüler, Tiefkühltruhe, Heißlüfter, Computer und andere Hilfsmittel unserer komplizierten Lebensführung halten nicht ewig, werden bei Versagen repariert oder durch neue ersetzt. Nur unser wichtigstes Gerät, das uns erst zum Menschen macht, nur die Sprache, liebe Mitmenschen, soll ein Leben lang so gut in Schuß sein, wie wir es als Kinder in der Familie und danach in der Schule gelernt haben. Zwar kommen wir nicht umhin, unsere Sprache den Erfordernissen unseres Berufes anzupassen. Dabei lernen wir diese oder jene Fachsprache. Aber als Generalisten der Sprache, als Menschen schlechthin sind wir auf Zufälle und eigenen Antrieb angewiesen, wenn unsere Sprache nicht verkommen soll.

Ihr habt richtig gehört, liebe Mitmenschen. Verkommen! Wir brauchen dabei noch gar nicht an Wortwahl oder Satzbau zu denken, sondern nur das, was Sprache, seit es sie gibt, zur Sprache macht: das Sprechen, die Aussprache, die Artikulation. Wie viele unter uns, liebe Mitmenschen, bringen die Zähne nicht auseinander, wenn sie sprechen. Das stört schon, wenn man sich mit so einem Mitmenschen unterhält, unterhalten will, besser gesagt, denn man versteht ihn nicht gleich, muß immer erst nachfragen, wenn der oder die andere nuschelt. In der privaten Unterhaltung ist das schon schlimm genug, Viel schlimmer aber, wenn jemand öffentlich redet oder im Fernsehen auftritt. Man möchte gern einem nuschelnden Politiker zurufen, er solle gefälligst deutlich sprechen. Was hat der bloß für Berater, was für eine Frau oder Geliebte, die es zulassen, daß er sich mit einer solch schludrigen Sprechweise an die Öffentlichkeit wagt? Wo bleibt da die Zivilcourage seiner Parteigenossen? Doch was kann man von denen schon erwarten, die ihre Genossinnen und Genossen so anreden, daß sich das erste Wort wie das zweite anhört?

Die Zeiten sind vorüber, da man als Lispler unangenehm auffiel, fast dem Stotterer gleichgestellt wurde. Nein, heute ist das Lispeln mode, es wird kaum noch belächelt oder bemängelt. Manche Männer pflegen es als ihr Markenzeichen wie früher Akademiker aus schlagenden Verbindungen ihren Schmiß.

Wenn du, lieber Mitmensch, weder stotterst noch lispelst, dann laß es dir nicht gefallen, daß andere es unentwegt beibehalten. Wenn du aber, lieber anderer Mitmensch, selbst stotterst oder lispelst oder alles beides tust, dann suche einen Sprachtrainer auf, der dir das abgewöhnt. Wenn es Logopäden möglich ist, Schwerverletzten wieder zum Sprechen zu verhelfen, dann sollten sie es doch vielleicht leichter haben, wenn sie dir, lieber Stotterer und Lispler, deinen Sprechfehler wegtrainierten. Aber wie hältst du es überhaupt mit der Sprache, lieber bedauernswerter Mitmensch? Meinst du, deine sprachlichen Defekte seien angeboren wie körperliche Mißbildungen? Mit Sicherheit hattest du beim nachahmenden Erwerb der Sprache, sagen wir ruhig: deiner Muttersprache keine Vorbilder, die dir etwas vorstotterten oder vorlispelten? Hat dir noch niemand gesagt, daß du Irrwege des Lernens gegangen bist? Es gibt meist psychische Ursachen dafür, wahrscheinlich auch bei dir. Wenn die erkannt werden, hilft dir das selten weiter. Die Hilfe kommt von anderer Seite. Was man gelernt hat, lieber Lispler, lieber Stotterer, lieber Stammler, das kann man auch verlernen. Das gezielte Verlernen ist auch ein Lernen. Ist das nicht tröstlich? Man muß es aber wollen und hart daran arbeiten. Du willst doch nicht etwa ein Leben lang auf deinem Irrweg weiterhumpeln, du lispelnder, stotternder Mitmensch. Na also! Und wenn du’s geschafft hast, deinen Sprachfehler zu korrigieren, wärest gerade du der richtige, in einem Fitness-Studio des Sprechens mitzuwirken.

Leider gibt es solche Studios noch gar nicht. Wer nun glaubt, die berufsmäßigen Sprecher könnten sie doch am ehesten einrichten, der hat sich leider getäuscht. Liebe Schauspieler-Mitmenschen, lernt ihr auf euren Schulen nur noch Mimik, Gestik, womöglich Reiten und Tanzen, aber nicht mehr deutliches und verständliches Sprechen? Und was sind das bloß für Regisseure, die euch das durchgehen lassen! In einer Gastinszenierung  allerdings können sie einem eingefleischten Nuschler aus dem ständigen Ensemble nicht auf die Sprünge helfen. Und schon gar nicht seinem Sprachfehler zu Leibe rücken. Aber manch ein Regisseur scheint gar nicht zu wollen, daß man jedes Wort versteht. Müßte er nicht selbst erst ein sprachliches Fitness-Training hinter sich bringen? Hört euch mal um im Opernensemble eures Theaters, liebe Schauspieler-Mitmenschen. Da ist kein Solist, kein Chorist engagiert worden, der unsauber singt.

Mal angenommen, du hast keinen Sprachfehler, lieber Mitmensch Schauspieler, Lehrer, Professor, Prediger, Redner. Deswegen machst du noch längst nicht alles richtig. Jeder Satz hat seine Melodie, und die intonierst du nur dann richtig, wenn du den Sinn verstanden hast. Nimmst du am Ende des Satzes die Stimme zu früh weg, du oller Tagesschausprecher, dann muß man die ein-zwei letzten Wörter erraten, an den Lippen ablesen, die tonlos noch die Konsonanten bilden. Bei deiner Wettervorhersage, du Aushilfs-Meteorologin, hört man gerade noch das Ende des Satzes, aber deine Puste reicht nicht mehr ganz, die Stimme kippt schon ab. Mußt du uns auch das noch antun, wo es doch schon genügte, daß du nicht schön bist, damit wir uns nach deinem Obermeteorologen zurücksehnen? Euch beide von der Tagesschau und der Wetterprognose würde ich als Intendant sofort in ein sprachliches Fitness-Studio schicken. Oder in  die Wüste.

Die exakte Aussprache jedes Wortes im Satz bis zum Punkt, Fragezeichen oder Ausrufezeichen, liebe Mitmenschen, ist für manch einen von euch schon schwierig genug. Bei der Betonung sind weitere Klippen zu umschiffen. Schon ein einzelnes Wort kann unterschiedlich betont werden, je nachdem, was es bedeuten soll. Ein konkretes Beispiel: In einer Lehrerkonferenz will ein junger Studienrat für seine Kollegen den durchgehenden Sinn einer längeren Abhandlung zusammenfassen und spricht vom Tenor des Ganzen. Hat sich bis auf die Knochen damit blamiert und wird mit diesem falsch betonten Wort immer wieder aufgezogen. Er soll nach anderthalb Jahren sogar seine Versetzung beantragt haben.

Man ahnt ja nicht, liebe deutsche Mitmenschen, wie schwer es Ausländer mit der Betonung der richtigen Silbe bei zusammengesetzten Verben haben. Um ans andere Ufer eines Flusses zu gelangen, müssen sie einen Fährmann finden, der sie übersetzt. Wenn sie aber Leute fragen, ob es nicht jemand gibt, der sie übersetzt, werden die überhaupt verstehen, was gemeint ist? Und was passiert, wenn wir einem Ausländer raten, er möge ein bestimmtes Verkehrsschild umfahren, und er versucht tatsächlich, es umzufahren?

Wir haben ja ähnliche Schwierigkeiten, wenn wir Fremdsprachen lernen. Im Französischen ist das kein Problem, liebe Mitlerner, da wird grundsätzlich die letzte Silbe betont. Mit dem Italienischen hat man es viel leichter, denkt man; das wird so ausgesprochen, wie man es schreibt. Stimmt ja auch. Nur sind da Fußangeln eingebaut. Es wird leider nicht immer wie in Caruso und Lampedusa die vorletzte Silbe betont, sondern in manchen Wörtern und auch Verbformen die drittletzte. Auch in Fremdwörtern, die es ebenfalls im Deutschen gibt, aber mit anderer Betonung. Unser Telefon oder Telefon ist im Italienischen das telefono, unsere Katastrophe una catastrophe. Man lernt bekanntlich am meisten aus seinen eigenen Fehlern. So ist es mir auch mit dem Italienischen ergangen, liebe deutsche Mitmenschen. Ich hatte in Padua einen Vortrag auf Italienisch zu halten, dessen deutscher Text von mir geliefert und dann übersetzt worden war. Bei der Einstudierung markierte ich mir sorgfältig alle Betonungen auf der drittletzten Silbe. Aber ein Wort ging mir durch die Lappen, weil es so ähnlich wie unser eigenes und erst recht wie das französische war. Wie hättet ihr denn, liebe Mitmenschen, das italienische »illegittimo« betont? Ich betonte es illegittimo und wurde in der anschließenden Diskussion berichtigt. Es muß heißen: illegittimo.

Was hat das alles, was haben deine privaten Schnitzer mit uns Deutschen zu tun, werdet ihr berechtigterweise fragen, liebe Mitmenschen. Nun, es hat sich ein italienisches Wort mit falscher Betonung bei uns eingebürgert. Wenn Mitglieder eines Orchesters dieselben Töne spielen, dann gibt es dafür ein Fachwort, das mittlerweile auch auf übereinstimmende Äußerungen in anderen Bereichen übertragen wird. Im Italienischen wird es unisono ausgesprochen, bei uns seit einiger Zeit auch mit Duden-Billigung unisono. Wenn ich es so falsch richtig höre, dreht sich mir als Romanisten und passioniertem Amateurmusiker immer noch der Magen um.

Wenn euch das schnurzegal ist und ihr schon drauf und dran seid, abzuschalten, liebe Hörer und Leser, möchte ich euch auf andere Feinheiten der Betonung innerhalb unserer eigenen deutschen Sprache hinweisen, denen ihr nicht immer ausweichen könnt. Wir Bundesdeutsche – Reichsdeutsche darf ich ja nicht mehr sagen, liebe Volksgenossinnen und -genossen – sprechen  von einer Kopie. Ihr dagegen, liebe deutschsprachige Mitmenschen in Österreich, sagt Kopje. Und erwischen uns Piefkes bei einer Inkonsequenz. Logischerweise müßten wir auch Folie sagen, sprechen das Wort aber als Folje aus. Ähnlich getrennt marschieren wir bei der Zeremonie.

Wann kommt er nun endlich zur Wortwahl, werdet ihr denken, liebe Mitmuttersprachler, doch ich bitte euch noch um ein ganz klein wenig Geduld. Stoßen wir nicht alle in bestimmten Situationen einzelne Laute oder Silben aus, die nichts Genaues bezeichnen und oft mehr als Worte sagen oder einfach unsere Sprachlosigkeit bezeugen? Gegen dieses Ah, Oh und dergleichen ist gar nichts einzuwenden. Aber sehr viel gegen einen Laut, den Redner hören lassen, wenn sie nicht gleich weiterwissen oder einen Moment nachdenken müssen. Wenn ich ihn schreiben sollte, würde ich e und ä kombinieren; so ähnlich jedenfalls klingt das, was den Redefluß unterbricht und das Zuhören manchmal zur Qual macht. Solltet ihr euch bisher dieser Flicklaute schuldig gemacht haben, liebe Mitmenschen, dann war das ein Symptom eurer fehlenden Konzentration. Daran kann man arbeiten. Übrigens werden weit mehr Männer als Frauen von dieser Schwäche befallen. Wir werden beim Blick auf euer, auf unser gesamtes Sprachverhalten darauf zurückkommen.

Weniger schlimm als dieser unartikulierte Flicklaut sind Flickwörter. Meist bedeuten sie gar nichts und erfreuen sich trotzdem großer Verbreitung. Welches Flickwort ist wohl zur Zeit am beliebtesten, fragte ich diesen und jenen Zeitgenossen. Die meisten wußten es nicht, hatten halt gar nicht darauf geachtet. Da haben wir’s ja schon, es heißt »halt«. In Norddeutschland hat früher, sagen wir: bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, niemand immerzu halt gesagt. Das ist in einer schleichenden Invasion, in einer »pénétration pacifique« vom Süden in den Norden vorgedrungen und hat dort das etwas seltenere Flickwort »eben« verdrängt. Wenn »halt« überhaupt einen Inhalt hat, ungenau etwas ausdrückt, dann könnte einen Bedeutungshintergrund im Sinne von »es ist nun mal so« herstellen. Wenn es einem gelingt, »halt« ganz wegzulassen, gewinnt die eigene Aussage an Bestimmtheit und Eindeutigkeit.

Im Gefolge von »halt« breitet sich auch »eh« im ganzen deutschsprachigen Raum aus. Oder benutzt ihr es etwa nicht, liebe Mitmenschen? Ein bißchen mehr Sinn als »halt« kann man diesem »Eh« schon zugestehen. Der einbändige Duden meint in seiner 21. Auflage noch, nur süddeutsch und österreichisch sei »eh« in der Bedeutung »sowieso« gebräuchlich. Inzwischen haben die Norddeutschen kapituliert.

Zum wahren Mode-Flickwort hat sich »sozusagen« entwickelt. Gesamtdeutsch! Bekannt war es schon immer, auch bei Goethe. Bei maßvoller Anwendung stimmt es überein  mit »gewissermaßen«. Der Duden gibt als zweite Bedeutung noch an »man könnte es so nennen«. Je häufiger jemand aber »sozusagen« in sein Reden einschiebt, desto mehr verliert es seinen genauen Sinn. Es verleiht der ihm folgenden Aussage einen Rest von Unsicherheit, markiert einen möglichen Abstand zwischen der Wirklichkeit und ihrer möglichen Benennung. Oder der Sprecher denkt sich eh nichts mehr dabei, verwendet »sozusagen« halt auch als richtiges Flickwort. In seinem Gefolge, und das sollte man ihm zugute halten, lieber Mitmensch, ist das unlogische »ich würde sagen« stark zurückgedrängt worden.

Wird es euch in Zukunft gelingen, auf Flickwörter zu verzichten? Wollt ihr es überhaupt? Das ist eine Frage der sprachlichen Selbstkontrolle, liebe Mitmenschen, zu der ich euch hiermit anregen und ermutigen möchte. Das hässliche »e/ä« könnten, ja, sollten wir alle vermeiden, schon aus Rücksicht auf unsere Gesprächspartner oder Zuhörer. Auch aus Höflichkeit. Wenn wir beobachten und genau registrieren, wie andere Mitmenschen mit unserer Sprache umgehen, speziell: wie oft sie Flickwörter benutzen, dann kann das Rückwirkung auch auf unser eigenes Sprechen haben.

Befürchtet nur nicht, euer Sprechen könne gekünstelt klingen, wenn ihr das »halt« und das »eh« weglaßt. Statt ein unartikuliertes »e/ä« von sich zu geben, macht lieber eine richtige Pause und überlegt euch den nächsten Satz, bevor ihr weitersprecht. Besser noch: mit dem Denken solltet ihr, liebe Mitmenschen, immer schon weiter sein als mit dem Sprechen. Wenn einem eine Formulierung gut gelingt, verführt es dazu, sich selbst zuhörend zu genießen, was man da gerade sagt und wie man es sagt. Um das zu vermeiden, empfehle ich das Vorbild von Musikern. Wenn sie nach Noten spielen, müssen ihre Augen und ihre Gedanken schon dem voraus sein, was sie gerade ausführen und hören. Erst recht gilt das für das »Prima vista«-Spiel, das Vomblattspiel. Man freut sich darüber, daß man gleich die richtigen Töne anschlägt, streicht oder bläst, und muß doch vorwärts blicken und denken, damit ein musikalischer Ablauf zustande kommt. Es gehört eine besondere Begabung zum Vomblattspiel, und die ist nicht jedem Musiker gegeben, ohne daß er deswegen ein schlechterer Musiker wäre.

Ähnlich, wahrscheinlich noch komplizierter, verhält es sich mit dem Vomblattlesen. Dabei muß man schon den ganzen Satz im Auge haben, um zu erkennen, wie die Betonung auf die einzelnen Wörter zu verteilen ist. Üben kann man das wohl, aber schneller und besser gelingt es einem, wenn man eine entsprechende Veranlagung dazu mitbringt. Es ist nun einmal nicht jedermanns Sache, schon etwas anderes zu denken, als das, was man eben ausspricht.

Die alte Regel »Schreibe, wie du sprichst«, um deren keineswegs absolute Gültigkeit es hier nicht geht, läßt sie sich nicht auch umkehren zur Regel »Sprich, wie du schreibst«? Gewiß nicht immer, liebe Mitmenschen, die ihr dann doch lieber so redet, wie euch der Schnabel gewachsen ist. Aber in Bezug auf Flickwörter schon. Ich kenne keinen gedruckten oder handschriftlich festgelegten Text, der mit »halt« gespickt ist, und ich habe auch noch keinen Vortragenden gehört, der es in seine fertige Vorlage einbaut. Bei »sozusagen« bin ich mir da nicht so sicher, habe ich doch schon, kaum zu glauben, einen Professor (Titel schützen nicht vor Torheit) gehört, der an jeden zweiten oder dritten seiner Sätze gleichsam als Schwanz ein »sozusagen« hängte.

Vielleicht bin ich zu streng gegenüber den Flickwörtern. Sie könnten ja auch eine Art Gleitmittel sein, das manche Sprecher brauchen, um ihre Wörter besser in Sätze hineinzuschieben. Oder eine Art Kitt, damit die Teile von Sätzen besser zusammenhalten.

Schwieriger zu vermeiden als Flickwörter sind Modewörter. Sie tauchen unvermittelt auf und werden von Mund zu Mund weitergereicht. Das können Wörter sein, die es im Deutschen schon lange gegeben hat, ohne daß sie besonders auffielen. Heute will jeder Betrieb, jede Partei, jede Organisation gut »aufgestellt« sein. Auf rätselhafte Weise verdrängt »zögerlich« mehr und mehr das gleichbedeutende »zögernd«. Als die Achtundsechziger gegen die bestehende Ordnung ankämpften, erwachte für ihr Verhalten ein Wort aus seinem Lexikonschlaf: »aufmüpfig«. Was für die Generation der Groß- und Urgroßeltern »lässig« war, ist heute »cool«. Ich will hier aber nicht den ganzen Wortbestand von »Dummdeutsch« durchkauen, sondern lediglich euer Sprachbewußtsein wecken und verstärken, liebe Zeitgenossen.

Die Hauptleiden unserer deutschen Gegenwartssprache sind Überfremdung und Verarmung. Die Globalisierung hat zur Folge, daß man sich in einer gemeinsamen Sprache verständigen muß. Dabei ist dem Englische die Rolle einer »lingua franca« zugewachsen. Einer praxisbezogenen Verkehrssprache, die wie im europäischen Mittelalter und heute noch in der katholischen Kirche das Lateinische eine Kommunikation von Menschen ganz unterschiedlicher Volkszugehörigkeit herstellt. Unvorstellbar ist es nicht mehr, daß in hundert oder zweihundert Jahren auf der ganzen Erde nur noch Englisch gesprochen wird.

Vorläufig ist es glücklicherweise noch nicht soweit. Beim Eindringen nicht nur von englischen Wörtern ins Deutsche ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob das fremdsprachliche Wort angemessen durch ein muttersprachliches zu ersetzen ist. Selbst im international vernetzten Computer-Bereich ist dies mit den Wörtern »Rechner«, »Bildschirm« und »Drucker« recht gut gelungen. Wir sagen zwar öfter PC und Monitor, aber kaum jemand spricht vom Printer statt vom Drucker. Von »Kids« statt von »Kindern« zu sprechen ist barer Unsinn. Auch andere Fremdwörter sind durch deutsche zu ersetzen, wo immer damit kein Bedeutungsverlust verbunden ist.

Für die meisten Fachsprachen sind Fremdwörter unerläßlich. Ihr übertriebener Gebrauch entartet zum »Fachchinesisch«. Das dient dann auch dazu, dem Laien gegenüber zu zeigen, daß man mehr von bestimmten Sachen versteht als er. Mediziner können uns, liebe Mitmenschen, aber auch schonen, wenn sie eine Krankheit nur mit ihrem lateinischen oder griechischen Wort benennen. Meningitis hört sich längst nicht so schlimm an wie Gehirnhautentzündung.

Modewörter und Fremdwörter verbreiten sich durch Nachahmung, und die meisten Vorbilder dafür, liebe Fernsehgucker, erreichen uns am häufigsten über die Glotze. Wir alle, daran sollten wir uns dankbar erinnern, haben unsere Muttersprache, und die Privilegierten unter uns gleich auch eine Zweit- oder sogar Drittsprache, durch Nachplappern gelernt. Wir haben uns Sprache zuerst als Hörer, dann auch als Sprecher und lange danach schließlich als Schreiber angeeignet. Das Nachplappern aber ist manchen von uns, liebe Mitmenschen, so in Fleisch und Blut übergegangen, daß sie bis ins hohe Alter nicht davon lassen können. Wenn alle so reden, warum nicht auch man selbst? Wenn man immer wieder hört, um nur ein Beispiel anzuführen, man dürfe nicht Äpfel und Birnen vergleichen, warum soll man es nicht auch selbst ablehnen? Warum aber, ist dem entgegenzuhalten, liebe Mitmenschen, prüft man nicht erst, ob es auch stimmt? Ist nicht jeder Vergleich möglich, bei dem es für beide Teile ein gleiches Drittes gibt? Ein »Tertium comparationis«, wie der Lateiner sagt? Sind nicht Äpfel und Birnen Kernfrüchte und daher durchaus vergleichbar?

Wenn ihr mir bisher folgen und zustimmen konntet, so wird es nun für einige von euch, liebe Mitmenschen, liebe Leser, liebe Zuhörer, etwas kritisch. Ich behaupte nämlich, daß viele, wenn nicht sogar die meisten Gebete nichts als ein Nachplappern seien. Ist es immer noch so, daß Sündern – und als solche geben sich viele Katholiken wenigstens im Beichtstuhl – eine bestimmte Anzahl von Wiederholungen eines Gebetes als Buße auferlegt wird? Selbst wenn das nicht mehr der Fall sein sollte, ist schon das einmalige Aufsagen eines vorformulierten, standardisierten Gebetes – ja, was denn nun, ein Ritual oder ein Nachplappern? In protestantischen Bürgerfamilien vor dem Zweiten Weltkrieg, auf die sich mein Erfahrungsbereich beschränkt, waren jedenfalls die Tischgebete zu sinnentleerten Wiederholungen heruntergekommen. Doch wir wollen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und mit dem gedankenlosen Nachplappern nicht auch das Auswendiglernen verdammen.

Originelles Sprechen ist uns nur sehr selten möglich; denn die Sprache hat uns eine reiche Musterkollektion beschert, aus der wir immer wieder schöpfen, selbst wenn wir meinen, selbst eine Formulierung erfunden zu haben. Unschöne oder unlogische Ausdrücke werden dadurch nicht besser, daß sie sehr gebräuchlich sind. Nun mal ehrlich, liebe Mitmenschen: habt ihr als Vorsitzende eines Vereins einen Abend nicht auch schon eröffnet mit den Worten »Ich darf (diesen oder jenen) begrüßen«? Warum nicht einfach: »Ich begrüße«? Habt ihr die umständliche Begrüßungsformel bei anderen Rednern gehört und gedankenlos übernommen? Um es mit einem häufig wiederholten Beginn von letzten Sätzen zu sagen: »Bleibt zu hoffen, dass« ihr künftig eure Gäste mit ganz persönlichen Worten begrüßt.

Eine der seltenen Möglichkeiten, im Bereich der Sprache eine freie Entscheidung zu treffen, ist und bleibt – und nun wende ich mich an alle Mitmenschen, die schon Eltern sind, mehr noch aber an alle, die es erst werden wollen – ist und bleibt die Namengebung. Anscheinend sind die Zeiten vorbei, da der Standesbeamte einen Vornamen nicht eintragen durfte, wenn er auf einer ihm vorgeschriebenen Liste fehlte. Liest man heute die Sonnabendzeitungen, in denen sich die Familienanzeigen häufen, dann stößt man auf Vornamen, die man noch nie gehört oder gelesen hat. Mag sein, daß es sie auf Südseeinseln oder in der Mandschurei tatsächlich gibt oder daß ihr sie, werdende Mütter und Väter, von Reisen in andere ferne Länder mitgebracht habt. Ich werde aber den Verdacht nicht los, daß manche von euch Vornamen erfinden, die euer Kind als etwas Einmaliges ausweisen und außerdem schön klingen sollen. Das ist nun ein Feld, auf dem sich euer Originalitätsbedürfnis so richtig austoben kann, erweitert noch in den dazugehörigen Geburtsanzeigen. Denen unter euch, die schon so verfahren sind, liebe Mitmenschen, kann ich einen Vorwurf nicht ersparen. Als ihre eure Tochter auf den Namen Milla, euren Sohn auf den Namen Tjegge taufen ließet, habt ihr da nicht mehr an euch selbst als an eure Kinder gedacht, die nun ein Leben lang als Rarität oder Kuriosität herumlaufen müssen? Ihr habt den Namen eures Kindes zum Angeben mißbraucht. Ihr anderen Elternpaare, die ihr eure Kinder nicht Milla oder Tjegge getauft habt, möchtet ihr denn so heißen? Nein? Dann gebt es auch Millas und Tjegges Eltern mal zu verstehen, wenn die Kinder nicht dabei sind.

Leider beschränkt sich die Originalitätssucht gewisser Eltern, die sich nun ruhig anhören können, was ich ihnen vorhalte, nicht auf einzelne Vornamen. Angeben wollt ihr nicht, aber euren Kindern und eurer Familie doch den Anstrich von etwas Besonderem geben, liebe Eltern-Mitmenschen, wenn ihr die Namen mehrerer Töchter oder Söhne als Serie anlegt. Da folgt auf eine Armgard, Helgard und Reingard noch eine Switgard; auf einen Gabriel, Raffael und Michael noch ein Daniel oder, kaum zu glauben, auf Siegfried, Gunter und Hagen sogar ein Parzifal. Niemand tanzt dabei aus der Reihe. Könnte es aber nicht sein, liebe Serien-Kinder-Eltern, daß sich das zweite, dritte oder vierte Kind in seiner Individualität eingeschränkt fühlt, weil sein Name abhängig ist vom Gesetz der Serie?

Mit zu hohen Erwartungen belastet wird auch ein Kind, das mit Vornamen berühmter Persönlichkeiten ins Leben startet. Hat sich nicht ein gewisser Johann Sebastian Winter verpflichtet gefühlt, Musiker und möglichst auch Komponist zu werden? Wurde ihm im Vergleich mit dem großen Johann Sebastian nicht immer wieder bewußt, welch kleines Licht er doch war? Noch schlimmer wird es, liebe Namensucher-Eltern, wenn ihr schon einen berühmten Nachnamen habt. Schubert beispielsweise. Dann  hütet euch, euren Sohn Franz zu nennen. Als abschreckendes Beispiel wäre an sich ein Name geeignet, den es tatsächlich gegeben hat: Gotthold Ephraim Lessing. Doch diese Zweitausgabe hat trotzdem Karriere gemacht. Nicht namengetreu in der Literatur, sondern in der Musik. Brachte es als Dirigent zum Generalmusikdirektor in Lübeck und anderswo. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Wie steht es übrigens mit eurem eigenen Vornamen? Ist das auch ein seltener Vogel, oder seid ihr eine Martina, eine Susanne, ein Günter, ein Walter unter vielen? Mögt ihr euren eigenen Vornamen? Gehört er zum Gerüst eures Selbstwertgefühls? Zum Bewußtsein eurer Identität? Verratet ihr euern zweiten Vornamen wie Wilhelm E. Süskind oder Johannes B. nur durch den Anfangsbuchstaben? Weil ihr selbst Emanuel oder Baptist nicht so gern mögt?

Manchmal fällt es schwer, sich damit abzufinden, daß falscher Gebrauch von Wörtern oder Satzmodellen durch häufige Wiederholung mit der Zeit nicht mehr als falsch empfunden wird. Wie sagen Sie denn, liebe Mitmenschen, haben Sie Freunden oder Verwandten beim Abschied nachgewinkt oder nachgewunken? Korrekt sollte es das Partizip des schwachen Verbs wie »winken« »gewinkt« heißen. Die Form »gewunken« hatte ursprünglich einen leicht komischen Beiklang. Wenn ein Soldat beim Übungsschießen nicht mal die Scheibe getroffen hatte, bewegte der Ergebnis-Anzeiger seine Kelle vor der Scheibe hin und her. Ein Soldat, der von seinem Vorgesetzten nach dem Ergebnis seines Schusses gefragt wurde, soll geantwortet haben: »Herr Hauptmann, sie haben gewunken.« Vielleicht hat das richtige Partizip der starken Verben »sinken« und »stinken« mit »gesunken« und »gestunken« abgefärbt auf winken. Andere schwache Verben auf -inken wie blinken, hinken, linken und zinken waren grammatisch widerstandsfähiger. Niemand sagt »geblunken«, »gehunken«, »gelunken« oder »gezunken«. Diese immer noch falschen Formen klingen lächerlich, wie ursprünglich »gewunken« ja auch. Doch mit Konsequenz und Logik ist Sprachveränderungen nicht immer beizukommen. Was gestern noch falsch war, kann heute schon richtig sein. Und nicht selten haben zwei Formen nebeneinander auch ihre Berechtigung. Das gilt mittlerweile auch für Sätze mit »weil«. Früher leitete diese Konjunktion nur einen Nebensatz ein; heute dagegen, so sehr sich das altgewöhnte Ohr dagegen sträubt, auch einen Hauptsatz. Weil das wird nicht mehr als falsch empfunden. Manchmal hört man geradezu hinter dem Weil einen Doppelpunkt, der besagt: jetzt kommt die Begründung. So weit, so gut, liebe Mitsprachler.

Eine grammatisch falsche Redewendung wird dadurch nicht besser, daß auch sie in Mode kommt und oft wiederholt wird. Über den Satz »Ich habe fertig« eines italienischen Fußballtrainers lächeln wir immer noch und bleiben uns dabei des Fehlers bewußt. Von einem anderen, die deutsche Sprache ähnlich radebrechenden Ausländer könnte der Satz »Sie (oder er) kann Kanzler« stammen, doch leider scheint ihn ein Deutscher zuerst ausgesprochen zu haben. Mit dem meist ernst gemeinten Inhalt dieses Satzes wird seine Fehlerhaftigkeit überspielt, für etwas Nebensächliches gehalten.

Was gewisse Feministinnen uns aber an Sprachveränderung zugemutet haben, solltet ihr nicht unwidersprochen hinnehmen, auch ihr Frauen nicht, obgleich es sich inzwischen so stark durchgesetzt hat, daß es nicht mehr rückgängig zu machen ist. Die Feministinnen glaubten, sie seien sprachlich benachteiligt, wenn mit einem männlichen Gattungsnamen auch Frauen gemeint sein sollten. Eine jahrhundertelange Ungerechtigkeit sollte endlich beseitigt werden. Schriftsprachlich durch die unaussprechliche Schreibung mit großem I mitten im Wort nach dem Muster »LehrerInnen«. Das hat sich verdientermaßen totgelaufen. Doch mußten auf Betreiben von Frauen viele Gesetzestexte geändert werden, damit sie unzweideutig auch für Lehrerinnen, Ärztinnen, Schülerinnen, Gesellinnen und Meisterinnen gelten. Daß all die vielen Änderungen auch Geld kosteten, war diesen feministischen Genauigkeitsfanatikerinnen anscheinend egal. Wie konnte man auch immer nur von Studenten reden, wo es doch fast mehr Studentinnen gibt als Studenten? Da entdeckte man ein Wort, das schon immer Männlein und Weiblein der Jungakademiker bezeichnet hatte: sie waren ja Studierende! Indem die WortführerInnen die Studenten durch Studierende ersetzten, schlugen sie in gleichmacherischem Linksdrall zwei Fliegen mit einer Klappe. Studierende waren bisher, im Unterschied zu den Studenten an Universitäten und anderen Hochschulen, die Absolventen von Ingenieur-, Baugewerk- und ähnlichen höheren Fachschulen gewesen. Nun gibt es nur noch Studierende. Aus dem Studentenparlament ist ein Studierendenparlament geworden. Geht euch das etwa leicht über die Zunge, ihr Altachtundsechzigerinnen, die ihr eine derartige Geschmacklosigkeit mit angezettelt habt? Es lohnt sich wohl nicht recht, die Studentenlieder auch noch in Studierendenlieder umzutaufen, da sie ja doch kaum noch jemand singt.

Anstoß erregte bei den Gleichstellungsbeauftragten der Sprache auch das Wort »Lehrling«. Für weibliche Lehrlinge war es noch unerträglicher als für weibliche Studenten; denn im Gegensatz zur »Studentin« gab es das Wort »Lehrlingin« ja nicht. Die Studierenden hätte man ohne weiteres mit »Studentinnen und Studenten« anreden können, und nach wie vor reden sich die Urheber der lexikalischen Revolte mit »Genossinnen und Genossen« an. Eine ähnliche Doppelanrede für Lehrlinge aber scheitert daran, daß keine weibliche Form existiert. Außerdem wollte nicht jeder Jugendliche mit dem Wort »Lehrling« dauernd an seinen vermeintlich niedrigen Rang in der Gesellschaftsordnung erinnert werden. Glaubten jedenfalls die wohlmeinenden Sprachverbesserer. Es mußte also ein ganz neues Wort gebildet werden. Hätte es da nicht nahegelegen, aus den Lehrlingen parallel zu den Studierenden einfach »Lernende« zu machen? Wäre damit der aktive Teil der Lehrzeit nicht unterstrichen worden? Die Schweizer haben das getan, ganz amtlich, und sind gut dabei gefahren. Und die Österreicher haben die »Lehrlinge« beibehalten.

Aber den bundesdeutschen Spracherneuerern war das denn doch zu simpel. So erinnerten sie sich an ihre Lateinkenntnisse und speziell an das Gerundivum, ein von Verben gebildetes Adjektiv, das etwas ausdrückt, was mit jemand oder etwas anderem geschehen soll. Mit den Endungen -us, -a, -um für den Nominativ der drei Geschlechter. Mit der Übersetzung des einen Wortes hatte man schon immer seine Not, da es eine grammatische Entsprechung im Deutschen nicht gibt. In einem Falle ist daraus immerhin der Vorname »Amanda« geworden, der wörtlich „eine zu liebende; eine, die geliebt werden soll“ bedeutet. Auch »Amandus« hat es mal gegeben, ist aber so gut wie ausgestorben.

Könnt ihr mir noch folgen, ihr Trittbrettfahrer und -fahrerinnen der Sprachmoden? Was hat Amanda mit den Lehrlingen zu tun? Sie sind welche, die ausgebildet werden sollen. Also Auszubildende. Was ist daran zu beanstanden, fragt ihr willigen Sprachmitläufer? Zum einen, daß das Wort geschraubt klingt, ein Kunstwort ist, das vorher im Deutschen nicht existiert hat. Zum anderen, daß es den Lernenden zum Objekt der Ausbildung und der Ausbilder macht. Daß der Lernende in seiner Lehrzeit selbst viel zu tun hat, wird dabei übergangen. Das lateinische Gerundivum, dem die »Auszubildenden« nachgeformt sind, hat nämlich für das mit ihm verbundene Substantiv immer passivischen Charakter. Die Lateiner unter euch erinnere ich an den schönen Satz des Römers Cato der Ältere, das Paradebeispiel für den a.c.i.: »Ceterum censeo Carthaginem esse delendam.« – »Im übrigen bin ich der Meinung, daß Karthago zerstört werden muß.« Hätte ich in einer Klausur übersetzt, »daß Karthago ein Zuzerstörendes ist«, wäre das als schlechter deutscher Stil beanstandet worden. Mit einem einzigen Wort läßt sich das lateinische Gerundivum nicht übersetzen. Dachte man bisher. Bis die »Auszubildenden« in die Welt gesetzt wurden. Und die sind ebenfalls schlechter Stil. Die österreichischen »Lehrlinge« und die schweizerischen »Lernenden« beschämen uns! Nur mit der Abkürzung »Azubi« können wir uns über die Sprachdummheit und Stillosigkeit der »Auszubildenden« hinwegtrösten. Doch was wird nun aus Goethes »Zauberlehrling«? Etwa ein »Zauberazubi«? Wahrscheinlich wandert er nach Österreich oder in die Schweiz aus, weil er hier als »Auszubildender« gar nicht mehr das Kommando »Wasser Marsch!« aussprechen darf.

Wenn ihr meint, den faulen Zauber feministischer Wortschöpfungen könne man doch nicht mehr ändern, dann verweise ich euch auf zwei Bereiche der Sprache, in denen ihr sehr wohl noch auswählen und entscheiden könnt: Genauigkeit und Stil. Gegen das Gebot der Genauigkeit verstoßen zwei Adjektive und Adverbien, die sich seit Jahrzehnten besonderer Beliebtheit erfreuen. Wenn etwas Erfolg hat, dann spricht man von einem positiven Ergebnis. Wenn etwas schief geht, hat es zu einem negativen Abschluß geführt. Der häufige Gebrauch von positiv und negativ ist ein Symptom für die Verarmung unserer Sprache. Ein Symptom auch für die sehr verbreitete Sprachfaulheit. Für beide hier an den Pranger gestellten Adjektive gibt es ja genauere Wörter, und unsere Sprache klingt gleich abwechslungsreicher, farbiger, wenn wir von einem erfreulichen, vorteilhaften, ertragreichen Ergebnis und einem bedauernswerten, ungünstigen, verlustreichen Abschluß reden. Oft wird in der Öffentlichkeit eine Polarisierung abgelehnt, verurteilt. Von denselben Rednern oder Schreibern unter euch, unter uns Mitmenschen, die immer wieder Vorgänge und Menschen in die Wertungsschubladen »positiv« und »negativ« einsortieren. Wie haltet ihr es damit? Seid ihr bereit, auf »positiv« und »negativ« zu verzichten, solange es nicht um Magnetismus und Elektrizität geht? Achtet bitte mal darauf, wie diese beiden Adjektive im öffentlichen Sprechen strapaziert werden. Der Langweiligkeit von längeren Reden entgeht ihr, wenn ihr Strichlisten für »halt«, »eh«, »sozusagen«, »positiv« und »negativ« anlegt. Wenn ihr euch regelrecht auf die Lauer legt, um diese Wörter nicht zu verpassen. Das genaue Hinhören wird es euch leichter machen, die fünf hier angekreideten Wörter selbst zu vermeiden oder wenigstens ihren Gebrauch auf ein Mindestmaß einzuschränken.

Von den ungenauen Adjektiven greife ich nur ein weiteres auf, das seit Jahrzehnten sein Unwesen treibt, und zwar in einer bestimmten Textsorte. Habt ihr, liebe Mitmenschen, selbst wenn ihr nicht gerade auf der Suche nach einer (neuen) Freundin oder einem (neuen) Lebenspartner seid, habt ihr euch schon mal die Lektüre von Heiratsanzeigen gegönnt? Da zeigen besonders die weiblichen Inserenten ihre Schokoladenseite vor, und man wundert sich, daß sie bei all ihren Vorzügen nicht auf normalem Wege unter die Haube gekommen sind. Für alles, was ihnen eingestandenermaßen an Schönheit fehlt, tritt ein Adjektiv ein, unter dem man sich alles Mögliche vorstellen kann, aber nichts Genaues: »attraktiv«. Ein wahres Schwammwort, hinter dem sich in den bewußten Anzeigen auch diese oder jene Schwäche verbirgt. Eheanbahnungsinstitute gehen besonders verschwenderisch mit ihm um. Aber auch Politiker. Sie versprechen im Namen ihrer Partei eine »attraktive« Lösung von Problemen, ein »attraktiveres« Programm als das der Regierung. So bringt ein Schwammwort Ehewillige und Politiker unter einen Hut. Soviel zu den Adjektiven.

Habt nun keine Angst, liebe geduldige Leser, daß ich hier eine ganze Stilfibel aufblättern will. Mir geht es nur um Sprachbewußtsein bildende Anregungen. Um aktuelle Entwicklungstendenzen der Sprache, die ihr vielleicht noch nicht genug bemerkt habt.

Euch ist es in den letzten zehn-zwanzig Jahren sicher auch schon aufgefallen, daß es kaum noch Wörter gibt, die man nicht aussprechen darf. Geradezu bahnbrechend in dieser Hinsicht hat ein Wort gewirkt, mit dem man Enttäuschung über eigenes Mißlingen ebenso ausdrücken kann wie allgemeine Abwertung von Sachen und Abläufen. Ein wahres Schwammwort also, ähnlich wie auf der Habenseite attraktiv. Und auch ein sehr beliebter Fluch, wie die folgende Anekdote beweist. Als ein empörter Bayer in einem Zugabteil ausruft: »Himmel, Kreuz, Kruzifix, Jesses Maria!«, fragt ihn ein Priester, der ihm gegenübersitzt: »Warum sagen Sie nicht einfach ›Scheiße‹«? Ein Fluch, der Diesseits und Jenseits verbindet, wäre freilich dem Geistlichen nicht so leicht über die Lippen gegangen: »Himmel, Arsch und Zwirn!«

Wodurch ist die »Scheiße« salonfähig geworden? Weil das Wort durch häufigen Gebrauch abgenutzt worden ist, seine konkrete Bedeutung fast eingebüßt hat. Wer heute »Scheiße« sagt, stellt sich dabei gar nicht mehr richtige Kacke mit ihrem Gestank, ihrer braunen Farbe und ihrer widerlich-schleimigen Masse vor. Ähnlich ist es dem konkreten »Arschloch« ergangen, das sich zu einem allgemeinen Schimpfwort abgeschwächt hat. Es bezeichnet ursprünglich nach der guten alten Methode »Pars pro toto« – ein Teil für das Ganze – einen ganzen Menschen. Leidet aber auch schon unter Abnutzung.

Es entsteht zunehmend ein Mangel an Schimpfwörtern und Flüchen. Wie kann man eine Frau noch beleidigen, wenn jede Frau irgendwann von irgendwem eine »blöde Kuh« genannt wird? Homosexuelle kann und darf man nicht mehr als »Schwule« und »Lesben« beschimpfen, sondern höchstens noch ganz neutral benennen, denn für sie selbst ist die ehemals beleidigende Bezeichnung ein Merkmal ihres Selbstwertgefühls geworden. Dennoch gibt es noch einige wenige Wörter, ich brauche sie hier nicht zu zitieren, die man besser vermeidet, wenn man nicht sprachlich ins Fettnäpfchen treten will. Aber mit der Bezeichnung unserer Geschlechtsteile haben wir schon unsere liebe Not. Die Wörter dafür sind entweder zu lateinisch oder zu schweinisch.

Nun zu euch, ihr Professoren und Theoretiker. Eure Überlegenheit in euerm Spezialgebiet in allen Ehren, aber auch euch stelle ich die Gretchenfrage: Wie haltet ihr’s mit der Sprache? Wenn ihr eure Erkenntnisse öffentlich ausbreitet, behaupte ich, verkauft ihr euch nicht selten unter Wert. Ihr langweilt eure Zuhörer. Und wodurch? Was ist denn so schlimm daran, daß ihr euern Text ablest, statt frei zu sprechen? Gar nichts, solange ihr euch, wenn ihr euer Manuskript zugleich als Schreibende und als Redende verfaßt habt. Wenn ihr euern Text dann vortragt, klingt er im Idealfall so, als sei er auf dem Rednerpult frisch formuliert worden.

Den oft zitierten Satz »Le style est l’homme même« hat Buffon ausgesprochen, als er 1753 in die Académie française aufgenommen wurde. Wie recht er hat, dieser bedeutende Naturforscher des 18. Jahrhunderts! Man wird euch nicht nur an eurer Sachkompetenz messen, sondern auch am Niveau eurer Sprache. An euerm Stil. Und wer von euch, ihr Geisteshelden, möchte nicht auch als ganzer Mensch verstanden und geachtet sein?

Sehr verbreitet unter vortragenden Wissenschaftlern ist es, nur Aussagesätze aneinanderzureihen, und das eine ganze Stunde lang. Verbunden mit einer wenig wechselnden Sprachmelodie ergibt das eine ermüdende, wenn nicht sogar einschläfernde Wirkung, gegen die man mühsam ankämpft, indem man sich sagt: Das ist ja alles sehr richtig und wichtig, was der da vorträgt. Wie schaffe ich es bloß, alles mitzubekommen? Habe ich nicht eben schon gegähnt, oder ist mir nicht schon mehrmals der Kopf runtergesackt?

Solche Redner lasse ich nicht durch den Sprach-TÜV, bevor sie sich einer rhetorischen Runderneuerung unterzogen haben. In den meisten Fällen brauchen sie ihre Texte nur syntaktisch umzubauen, aufzulockern. Ihnen sind ihre Erkenntnisse und Forschungsergebnisse ja auch nicht als gleichförmiger Brei zugeflossen. Vielmehr haben sie sich Fragen gestellt oder bestehende Lehrmeinungen angezweifelt. Warum stellen sie diese Fragen nicht auch ihren Zuhörern? Warum bauen sie durch den Wechsel im Satzbau nicht eine Spannung auf, die sie dann, erneut mit unterschiedlichen Satzmustern, durch ihre eigene Weisheit wieder lösen?

Länger wollte ich eure Aufmerksamkeit eigentlich nicht strapazieren, liebe Mitmenschen. Aber ihr sollt nicht ungetröstet unser Sprachlabor verlassen. Kennt ihr nicht alle das beliebteste deutsche Gesellschaftsspiel? Es heißt richtig: »Mensch, ärgere dich nicht«. Wird aber im saloppen Umgangsdeutsch kürzer »Mensch ärger dich« genannt. Das ist ehrlicher. Denn in der Tat will man ja gerade, daß der Mitspieler sich ärgert, wenn man ihn rausschmeißt. Ärgern sollt ihr euch auch, liebe Mitmenschen, über den weit verbreiteten nachlässigen Umgang mit der Sprache. Euch dabei aber auch an die eigene Nase fassen. Ich appelliere an eure freiwillige Selbstkontrolle!

Und wo bleibt der Trost, den du uns eben versprochen hast, du besserwisserischer Sprachkritiker? Habt ihr nie gehört, was uns Schiller vorgehalten hat? »Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt«? Bei aller Zurückhaltung dem Klassiker gegenüber – der Mann hat auch heute noch recht! Wollt ihr nicht alle ganze Menschen sein? Na bitte! Erwartet aber nun nicht auch noch eine Anleitung zu Sprachspielen. Eurer eigenen Entdeckung und Erfindung sind da keine Schranken gesetzt. Wie weit man es dabei treiben kann, hat uns Mozart ausgelassen vorgemacht.

Trost und Vergnügen bereiten euch, wenn ihr Augen und Ohren offen haltet, ungewollte Sprachschnitzer. Ob es Freudsche Fehlleistungen sind oder einfache Fehler, das ist oft nicht zu entscheiden. Druckfehler kommen auch in unserer computergesteuerten Gegenwart immer wieder vor. Taufrisch mein jüngster Fund: Ein Musikwissenschaftler kündigt einen Vortrag über Bach an und nennt ihn, laut Zeitungsnotiz, einen »Komponisten zur Ehe Gottes«. Unterstellt ihr mir etwa, liebe Mitmenschen, daß ich darin keinen Druckfehler sehe, sondern mir im Ernst vorstelle: Gott heiratet endlich und bringt seinen Sohn mit in die Ehe? Und Bach hat den Hochzeitsmarsch dafür komponiert? Nein, nichts liegt mir ferner als dieser Gedanke. Ich bedaure nur den armen Redner, der nun in seinem Vortrag die Ehre Gottes wiederherstellen muß.

›Federhalter‹ für diesen vierten Beitrag ist erneut ©Dr. Wolfgang Butzlaff (Kiel), dem wir sehr herzlich danken – und seine Gedanken zur Diskussion stellen.

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Datum: Freitag, 23. Dezember 2011 19:42
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