LeseProbe: Circus Scribelli/Norbert Weis

[…] »Kämpfe und Krämpfe« überschrieb der Journalist Theo Sommer Anno 2003 seinen Aufsatz in der Wochenzeitschrift ›Die Zeit‹. Sommers ehemaliger Feuilletonchef in eben dieser Postille, Fritz J. Raddatz, hatte ein Buch herausgebracht, in dem er mit Verlag und Kollegen »abgerechnet« (Sommer) hatte. Unruhestifter hieß das Werk. Und um Unruhe zu stiften ging es dem Autor auch ganz augen­scheinlich.

Raddatz, ein offenbar streitbarer, die lauten Töne liebender Herr, war mit dem ›Zeit‹-Verleger, Gerd Bucerius, wiederholt aneinander geraten – zuletzt, nachdem er 1985 anlässlich der Frankfurter Buchmesse in einem Aufsatz den Bau des dortigen Hauptbahnhofs in die Goethezeit verlegt hatte. Was an sich kein Grund gewesen wäre, außer Fassung zu geraten: Schließlich rollte nur drei Jahre nach Goethes Tod, am 7. Dezember 1835, in Deutschland die erste Dampfeisenbahn von Nürnberg nach Fürth.

Doch wie sie sich manchmal so geben, die (noch einmal Raddatz:) »hochwohllöblichen Kollegen«: Der journalistische Fehlgriff des Messebesuchers war ihnen gefundenes Fressen. Häme schwelte durch den Blätterwald der Republik. Es roch, es stank nach Scha­denfreude. Der Feuilletonchef (laut Sommer ein »Genie, Geck, Ga­lan. Paradiesvogel, Polemiker, Provokateur. Ein Mann der Manieren und Manieriertheiten. Flammend und flamboyant. Streitbar, damit er umstritten bleibt.«) schien für ›Die Zeit‹ nicht länger tragbar. Die Bahnhofsgeschichte war der berühmte Tropfen, der beim Verleger des ehrwürdigen Blattes das Fass zum überlaufen brachte. Fritz J. Raddatz wurde von Bucerius gefeuert.

Und nun also Rache, »die boshafte, nein: bösartige Darstellung …, die Raddatz der ›Zeit‹ angedeihen lässt« (Sommer). Die Retourkutsche via Unruhestifter holperte lärmend durch Redaktionen und über die Schreibtische der Intellektuellen, rempelte gegen ›Zeit‹-Kollegen und andere Leute der schreibenden Zunft, die ja »alle unentwegt an ihrem Rühmchen bauen« (Raddatz).

»Wint, Wint, Wint,« kritzelte einst der Alte Fritz an den Rand des Versetzungsgesuchs eines ihn nervenden Kapitäns.

»Wind, Wind, Wind«, rief befremdet die deutsche Lesergemeinde angesichts der Raddatz-Affaire – und goutiert nichtsdestotrotz auf ihre Weise das Gezeter unter der Zirkuskuppel. –

Kämpfe und Krämpfe solcher Jünger des Äolus hat es auch an anderer Front gegeben, genauer: beim gern gehörten, gern gesehenen »Literarischen Quartett«, das nach Ansicht der dort engagierten Kritikerin Sigrid Löffler »Krach zu machen« sich nicht scheute, und wo Kollegen die Kollegin mit Liebenswürdigkeiten der besonderen Art bedachten – und vice versa.

Der von Marcel Reich-Ranicki (Originalton Raddatz: »Telefonbuch-Rezensent«) aus der Taufe gehobene Literatur-Talk wurde 1988 erstmals ausgestrahlt. Drei Kunstrichter der Sparte Belletristik – eine Dame, eben Sigrid Löffler, und zwei Herren, Reich-Ranicki und Hellmuth Karasek, sowie ein von mal zu mal wechselnder Gast – saßen vor Publikum und laufenden Kameras, um, jeder nach seinem Befinden, Schöngeistiges zu loben, zu tadeln, zu zerreißen.

Im Jahre 2000 drängte dann in der »Radaubude« (›Der Spiegel‹) zur Oberfläche, was lange darunter gebrodelt hatte. Aufgestaute Antipathie des Einen (Reich-Ranicki) gegen die Andere (Löffler), der Anderen (Löffler) gegen den Einen (Reich-Ranicki) entlud sich coram publico. Letzterer hatte seiner Kollegin eine in literarischer Hinsicht »bedauerliche Einschränkung der Sicht« bescheinigt und – das vor allem! – ihre Kompetenz bei der Beurteilung erotischer Literatur (offenbar in erotischen Dingen überhaupt) in Frage gestellt.

»Frauenfeindlichkeit« tönte es zurück. Und nicht nur das. Auch »Macht-Mätzchen« warf die Dame Löffler ihrem Herrn Kollegen vor, – ihm, dem die Literatur »ja nicht als solche ein Anliegen« sei, sondern in erster Linie nur »ein Machtinstrument«: »Ihm geht es vor allem um das Ausspielen von Medienmacht – in grob machiavellistischer Manier.«

Schenken wir uns den Rest der Geschichte. Nur so viel: 2001 wurde das »Literarische Quartett« eingestellt. Dessen streitbarer Gründer (vom Journalisten Jens Jessen als »Verona Feldbusch der deutschen Literaturkritik« typisiert) eröffnete danach via Fernsehen eine neue Bücherschau, in der er, nicht länger irritiert durch weibliche Opposition, als Solist und gefürchteter Wildschütz durch den internationalen Bücherwald pirschte … Seinen Quartett-Kollegen Hellmuth Karasek drängte es indes, doch selbst einmal den belletristischen Pegasus zu reiten. Zwar wusste er und gestand es auch öffentlich ein: »Kritiker sind wie Eunuchen, die wissen, wie’s geht, können’s aber nicht.« Aber dann glaubte er, es doch zu können und hängte eine Scheibe an seine Gartentür, blind der Gefahr, dass auf sie geschossen werden könnte. (Es wurde.)

Genug der Kämpfe, Krämpfe und Windmachereien. Erinnern wir uns an dieser Stelle noch einmal an Konrad Lorenz’ Geschichte vom Jäger, dessen Flinte und dem Hasen. Und auch noch einmal an eines der Tagebücher von Max Frisch. In dem steht irgendwo zu lesen, wie Leute, die sich eigentlich nicht mochten, als Gast an fremder Tafel friedfertig zusammensaßen und sich nicht gar so garstig fanden, wie sie geglaubt hatten, dass sie es seien. Folge: Die Waffen schwiegen, die Flinten blieben im Flintenschrank unter Verschluss.

Was sagt dazu die Psychologie? Besänftigt gute Kost, gemeinsam genossen, den (auch intellektuellen) Futterneid?

© Bernstein-Verlag, Leseprobe aus: Norbert Weis, Circus Scribelli. Über Grobiane, Streithähne und andere lautstarke gestalten in der deutschen Literatur; ISBN 978-3-939431-09-1, 350 S., € 19,80, S. 167-169.

Tags »

Autor:
Datum: Sonntag, 21. Juni 2009 16:32
Trackback: Trackback-URL Themengebiet: LeseProbe, Novitäten

Feed zum Beitrag: RSS 2.0 Diesen Artikel kommentieren

Kommentar abgeben