LeseProbe: Mit anderen Augen. Zehn Einblicke in das Kaleidoskop des Lebens (W. Butzlaff)
Mit anderen Augen
Vorgestern ist das eingetreten, was ich lange erwartet hatte. Sie haben mich verhaftet, als ich mich gerade im Bauhaus-Museum vor ein Bild setzte, um es meiner Spezialbehandlung zu unterwerfen. Ich werde verdächtigt, auf Bestellung zu arbeiten. Aber den Auftraggeber kann ich nicht verraten, selbst wenn sie mich in Beugehaft nehmen. Es gibt ihn nämlich gar nicht. Doch jetzt muß ich erst mal dafür sorgen, daß ich bald hier rauskomme. »Am besten legen Sie gleich ein umfassendes Geständnis ab«, empfahl mir mein Anwalt. Dabei wußte er noch gar nicht genau, was gegen mich vorlag. »Geständnis?«, habe ich ihn gefragt. »Aber damit gebe ich ja schon zu, daß ich schuldig bin.«
»Na ja«, sagte er, »was Sie da mit einigen Bildern gemacht haben, war doch zumindest eine erhebliche Sachbeschädigung.«
»Wir sollten es doch auch unter uns neutraler ausdrücken«, hielt ich dagegen. »Sprechen wir lieber von Veränderungen. Ob die Schaden angerichtet oder Nutzen gestiftet haben, wird dann noch zu entscheiden sein. Und dann wäre ja auch die Frage der Verantwortlichkeit zu klären. Schuldig kann ich nur sein, wenn ich auch verantwortlich bin für das, was mir da zur Last gelegt wird.«
»Aber Sie werden doch nicht bestreiten, daß Sie bestimmte Bildveränderungen, wie Sie es nennen, verursacht haben. Das ist doch einfach Fakt. Also sind Sie auch verantwortlich dafür.«
Die Diskussion fing an, mir Spaß zu machen. »Als Jurist sollten Sie es mit den Formulierungen etwas genauer nehmen. Ich habe diese Veränderungen ursprünglich nicht verursacht, sondern sie sind durch mich verursacht worden.«
»Das ist höchstens ein grammatischer Unterschied. In der Sache läuft es auf dasselbe hinaus. Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß Sie nur als willenloses Werkzeug benutzt worden sind.«
»Ehe Sie sich darüber ein Urteil bilden, sollten Sie sich meine ganze Geschichte anhören. Vielleicht kann ich mit Ihrer Hilfe dann auch selbst besser verstehen, was sich da ereignet hat. Um den Untersuchungsrichter morgen zur Aufhebung des Haftbefehls zu veranlassen, genügt es als Hauptargument, daß keine Indizienbeweise gegen mich vorliegen. Ich habe tatsächlich weder an Bildern noch an Rahmen noch an Wänden jemals Fingerabdrücke hinterlassen, weil ich sie überhaupt nie berührt habe. Außerdem hat mich niemand dabei überrascht, wie ich eine Spritzpistole, eine Stablampe oder andere Lichtquelle, geschweige denn ein Laserstrahlgerät auf ein Bild gerichtet habe. Konnte mich nicht erwischen, weil ich solche Mittel nie benutze.«
»Mit welcher Begründung hat man Sie dann überhaupt hier eingesperrt?«
»Man habe, hieß es, bei genauer Überwachung mehrerer Museen und Galerien festgestellt, daß ich als einziger bei allen Veränderungen anwesend gewesen und auch von Videokameras vor den betroffenen Bildern aufgenommen worden sei. Ich allein käme als Täter in Frage.«
[…]
Weiterlesen in: Wolfgang Butzlaff: Mit anderen Augen. Zehn Einblicke in das Kaleidoskop des Lebens; 1. Aufl., Bonn 2007, 284 S., fadengeheftete Broschur, ISBN 978-3-939431-11-4, Euro 16,80