BuchTipp #3

BuchTippDie Macht des Geschriebenen // Bestimmte Grausamkeiten verlieren ihre Aktualität nicht. »Adressat unbekannt« von Kressmann Taylor, 1938 im New Yorker Story Magazine erstmals publiziert, verbrieft ein solches Phänomen: zu lesen ist die Korrespondenz zwischen einem Deutschen, Martin Schulse, und einem jüdischen Amerikaner, Max Eisenstein, im Zeitraum von Hitlers Machtergreifung. Die beiden sind Freunde und betreiben gemeinsam eine Kunstgalerie in San Francisco. Selbst Martins Heimkehr in seine Heimat vermag an der über Jahre gewachsenen Bindung der beiden nicht zu rütteln – so der Eindruck bei der Lektüre des ersten Hin-und-Her. Im Laufe nur weniger Briefe und kürzester Zeit ändert sich dann alles. Martin macht Karriere in und mit dem neuen politischen System in Deutschland. Als Funktionär der NSDAP verbietet er seinem jüdischen Freund den Kontakt und bricht die Korrespondenz mit ihm ab. Sogar Max‘ Hilferuf in Sorge um seine Schwester Griselle, mit der Martin einst weit mehr verband, als die Schwester seines Freundes zu sein, stößt auf taube Ohren. Inständig bittet der Bruder den alten Freund, Griselle zu suchen und sie zu beschützen. Die Antwort, die er dann erhält, ist katastrophal: Griselle, nach München geflohen, da sie ihren ehemaligen Geliebten nach Informationen ihres Bruders dort weiß, wird jede schützende Hilfe verwehrt – schlimmer noch, Martin liefert sie der SA aus. Sie wird vor seinem Haus erschossen. Ein erstes Mal retourniert ein Brief mit dem Vermerk »Adressat unbekannt«. Aus und mit diesem Schmerz schreibt Max nun regelmäßig an Martin. Keiner der folgenden Briefe ist bei diesem Absender vor Zensur sicher: alle codieren vermeintlichen Kunstschmuggel, illegale Geschäfte, Geldtransfer und Kontakt zu Juden. Anfang 1934 schreibt Martin dann flehend zurück; Max‘ Briefe brächten ihn in furchtbaren Verdacht, ihm drohe der Parteiausschluss, seine Familie sei spürbar gefährdet. Max schreibt noch zwei Mal in gewohnter Form Briefe, den dritten erhält er mit dem Vermerk zurück »Adressat unbekannt«. Diesem Briefwechsel auf engstem Raum wünscht man den Vermerk »Adressat: Jedermann!« [PR]

Kressmann Taylor / Adressat unbekannt / Atlantik Verlag / 96 Seiten / 10,00 Euro das Buch kaufen (schöne Neuausgabe, erscheint: August 2016)

Autor:
Datum: Dienstag, 12. Juli 2016 11:16
Trackback: Trackback-URL Themengebiet: Networking, Presse, , R²-BuchTipp

Feed zum Beitrag: RSS 2.0 Diesen Artikel kommentieren

Kommentar abgeben