Neu: Weltbilder im Mittelalter/Perceptions of the World in the Middelages

hp_WiMEinführung (der Herausgeber):
»Weltbilder im Mittelalter/Perceptions of the World in the Middle Ages« standen im Zentrum eines Kolloquiums internationaler Nachwuchswissenschaftler, das vom 9. bis 11. März 2007 in Marburg an der Lahn stattfand. Der Fokus des Kolloquiums orientierte sich an Notker dem Deutschen, der das lateinische Begriffspaar imago ideaque mundi mit »Weltbild« (uuérlte gescáft únde bílde) übertrug. Die Beiträge des Kolloquiums thematisieren sowohl die Visualisierung der Welt, etwa in italienischen astrologischen Freskenprogrammen, als auch die Wahrnehmung der Welt, beispielsweise in einer isländischen Miszellanhandschrift des Hochmittelalters.

Dabei geht es nicht alleine um die Frage, wie die Welt rezipiert wurde, sondern wie durch Verwendung antiker, mythischer und religiöser Symbole die eigene Welt konstituiert wurde. Die Erforschung von Weltbildern muss naturgemäß die Grenzen der eignen Teildisziplin und der eigenen Forschungstradition überschreiten. Das Thema der Tagung ist deshalb in einer Schnittmenge zwischen Literaturwissenschaften, Kunstgeschichte, Kartographiegeschichte, Geographie, allgemeiner Geschichte und Semiotik zu lokalisieren und eröffnet Forschern unterschiedlicher Fachgebiete die Möglichkeit des wechselseitigen Austauschs. Eingedenk der ohnehin durchlässigen Epochengrenzen beschränken sich die Beiträge dieses Bandes nicht auf das Mittelalter, sondern schließen auch die Frühe Neuzeit ein.

Der Schwerpunkt der den Band eröffnenden Abhandlungen liegt auf der visuellen Darstellung von Weltbildern vom 13. bis zum 15. Jahrhundert. Peter Bell untersucht das astrologische Weltbild eines Freskenprogramms aus dem 15. Jahrhundert in der Sala dei Mesi des Palazzo Schifanoia in Ferrara. Es wird verdeutlicht, wie sich der Auftraggeber dieses Bildprogramms mithilfe der Planetendarstellungen, Zodiakus und Monatsarbeiten zu verherrlichen und zu legitimieren vermag. Zudem werden in dem gemalten »Einjahreskalender« Werke des antiken Dichters und Astrologen Manilius verarbeitet und möglicherweise durch erneuerbare Inschriften immer auf den aktuellen Stand gebracht. Bislang rätselhaft gebliebene Unstimmigkeiten des Programms können nun durch Planänderungen während der Ausmalung erklärt werden. Um enzyklopädische Freskenzyklen in Repräsentationsräumen des 13.-15. Jahrhunderts geht es in dem Beitrag von Christian Opitz. Überlieferte und aus Texten rekonstruierte Freskenzyklen stehen im Zentrum der Untersuchung von Weltbildern, Bildräumen und Gedächtnisbildern.Hier wird interdisziplinär zwischen Schriftquellen wie der Weltchronik ›Livre de la Mutacion de Fortune‹ von Christine de Pizan und enzyklopädischer Raumausmalung wie den Wandmalereien des mittelenglischen Longthorpe Tower die Frage nach der Funktion enzyklopädischer Bildprogramme in dieser Zeitspanne gestellt.

Visualisierungsstrategien von Weltbildern stehen auch im Zentrum des Beitrags von David Albertson. Er analysiert den mystischen Traktat ›De ludo globi‹ des Nikolaus von Kues von 1463, der die Beziehung der Menschen zu Christus durch die Position eines Balls auf einem komplexen Spielfeld symbolisiert.

Die beiden folgenden Beiträge thematisieren den engen Zusammenklang eines Gegenwartsbezugs und der konkreten Darstellung von Weltbildern in künstlerischen oder utopischen Kontexten: Christiane Hille befasst sich mit der räumlichen Veranschaulichung von Weltbildern im England des 16. und frühen 17. Jahrhunderts in Form des höfischen Maskenspiels. Durch die Maskenspiel-Inszenierungen, in deren Mittelpunkt der König stand, wurden gleichermaßen kosmische, politische und soziale Ordnungen präsentiert und propagiert. Unter diesem Aspekt wird in dem Beitrag eine Veränderung der Weltanschauung und des Herrscherkonzepts zwischen den Regierungen James’ I. und Charles’ I. aufgezeigt.

Der Umschlagspunkt zwischen mittelalterlichem und neuzeitlichem Denken, wie er sich in den utopischen Gesellschaftsentwürfen von Thomas Morus, Tommaso Campanella und Francis Bacon zeigt, steht im Zentrum der Untersuchungen von Josef Bordat. Diese seien nicht nur als bloße Phantasiegebilde zu verstehen, sondern in Bezug auf ihre jeweilige Gegenwart. Dem Individuum, das gern als Paradigma der neuen Zeit gesehen wird, komme dabei allerdings eine nur untergeordnete Rolle zu, da »die ganzheitlich gedachte Nutzenmaximierung« nicht von diesem her, »sondern als nicht-hinterfragbares Werk eines Gründungsvaters konzipiert« werde (S. 120).

Vom Weltbild der Utopien zum Weltbild einer Handschrift führt der Beitrag von Regina Jucknies, der eine Perspektive aus dem hohen Norden bietet. Es wird eine isländische Miszellanhandschrift aus dem 14. Jahrhundert vorgestellt, die annalistische, komputistische, genealogische und weitere enzyklopädische Texte auf Altnordisch und Latein enthält. Sie bildet – in ihrer Gesamtheit betrachtet – einen Ausschnitt der gelehrten isländischen Weltsicht.

Mit Chroniken und Reiseberichten erschließen die drei letzten Beiträge einen weiteren Quellenbereich der Weltbilder. Zunächst setzt sich Meike Pfefferkorn mit den Natur- und Wunderberichten der Rezension C der ›Sächsischen Weltchronik‹ auseinander. Es kann gezeigt werden, wie durch diese Berichte politische Geschichte ausgedeutet und in Heilsgeschichte eingeordnet wird. Dies erreicht der Text auch durch die Einordnung der Darstellung der Bildtradition der ›Apokalypse‹. Ebenfalls um Erschütterungen der Gegenwart geht es im Aufsatz von Gesine Mierke über die außergewöhnliche ›Weltchronik‹ des Jans Enikel. Diese sei ein Raum, »in welchem Ordnungsmuster und Weltvorstellungen neu verhandelt werden« (S. 152). Anders als bei der ›Sächsischen Weltchronik‹ werden die Ereignisse nicht übertragen als Elemente einer Heilsgeschichte verstanden, vielmehr weise die Thematisierung von Laster- und Sündhaftigkeit auf eine gestörte Ordnung hin. Durch seine überraschend bizarren und doch unterhaltsamen Geschichten gelinge es Jans Enikel, auf die verworrenen Verhältnisse seiner Zeit aufmerksam zu machen.

Der Band schließt mit einem Blick auf das Bild fremder Welten von Thomas Horst: Er wirft ein Schlaglicht auf den bayerischen Indienreisenden Balthasar Sprenger, der 1505 bis 1506 auf einem Schiff in der Flotte des portugiesischen Admirals Francisco de Almeida segelte. Die Reisebeschreibung Sprengers gilt als eine der ersten ihrer Gattung, die in deutscher Sprache über Afrika und Indien berichtet. Sprengers Bericht und sein Nachwirken auf die zeitgenössische Kartographie stehen im Zentrum der Untersuchung.

Stellvertretend für die Jungen Marburger Mediävisten, den Organisatoren der Tagung, sind wir verschiedenen Personen und Institutionen zu Dank verpflichtet: Für die finanzielle und ideelle Unterstützung sowohl des Kolloquiums als auch des daraus entstandenen Tagungsbandes danken wir dem Promotionskolleg für Geistes- und Sozialwissenschaften der Philipps-Universität Marburg, insbesondere Herrn Professor Dr. Ulrich Winter, der ehemaligen Geschäftsführerin, Frau Dr. Susanne Igler, sowie der jetzigen, Frau Nadine Chmura. Der Marburger Universitätsbund steuerte freundlicherweise einen Teil zur Finanzierung dieses Bandes bei.

Bei der Redaktion war uns die tatkräftige und umsichtige Mitarbeit von Dagmar Bronner eine sehr große Hilfe. Ihr sei dafür von Herzen gedankt. Die praktische Durchführung des Kolloquiums unterstützten Franziska Schröder und Christian Schlüter. Schließlich danken wir dem Bernstein-Verlag, Bonn, für die Aufnahme des Bandes in sein Verlagsprogramm.

Bibliografische Angaben:
Philipp Billion et al. (Hrsg.): Weltbilder im Mittelalter/Perceptions of the World in the Middleages; 17 x 24 cm, zahlr. s/w Abb., 198 S., 1. Aufl., ISBN 978-3-939431-19-0, Euro 24,80

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Datum: Samstag, 19. September 2009 14:16
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