Donnerstag, 30. Juni 2011 13:59
Als Goethe den »Triumph der Empfindsamkeit« schrieb, wusste er noch nichts von Facebook, aber er kannte die Liebe zur Illusion und zum Schauspiel, und er wusste aus eigener Erfahrung, dass diese Liebe stärker werden kann als die zur Wirklichkeit. Mit seiner »komischen Oper ›Triumph der Empfindsamkeit‹, die so toll und grob als möglich« sein sollte, erteilte er diesem Treiben, das auch sein Treiben war, eine Absage:
Der empfindsame Prinz Oronaro hat sich eine gigantische Scheinwelt aufgebaut, in der er vor den Unannehmlichkeiten der Realität verschont bleibt. Er lebt in einer Theaterwelt, in der es alles gibt, was sein sentimentales Herz begehrt. Weil er, wie jeder Empfindsame, die Natur ausdrücklich und an allererster Stelle liebt, hat er sich von Künstlern, Musikern und Hoftapezieren eine phantastische Kunstnatur errichten lassen. Wälder und Berge, Vogelgezwitscher und sprudelnde Quellen, selbst der Mondschein befindet sich in den Kisten, die ihm zu einem ungestörten Naturgenuss verhelfen. Denn schließlich sind selbst in den »schönsten Mondnächten die Mücken« unterwegs, wird die zärtlichste »Empfindung durch eine herunterfahrende Spinne gestört«, ist es sowieso unterm freien Himmel nicht so, dass es dem Empfindlichen wohl wird.
Eines Tages trifft Oronaro auf die empfindsame Mandandane und verliebt sich in sie. Wie er liebt Mandandane den Mondschein, wie er, die Gräber und die Nachtigallen. Dazu hat sie eine Vorliebe für »Schnupftücher« und Monodramen – das sind Stücke, in denen alle Rollen von ihr selbst gespielt werden.
Auch Mandandane liebt den Prinzen, aber sie ist verheiratet, und ihr Mann König Andrason nicht bereit, seine Frau frei zu geben. Da stiehlt der Prinz Mandandane ein Kleid und gestaltet daraus eine Puppe, die er mit empfindsamer Literatur, so auch Goethes Werther füllt. Die Puppe verbirgt er in einer seiner Lauben und verbringt fortan seine Zeit mit ihr.
Eines Tages entdeckt der König, der trotz seines guten Humors von den Monodramen und der »poetisch-theatralischen Wut« seiner Frau langsam genug hat, die Puppe und zeigt sie ihr.
Mandandane ist entsetzt und will nicht glauben, dass die Liebe des Prinzen eine Farce sei, nichts mehr als eine Phantasterei. Sie lässt die Puppe verschwinden und setzt sich an ihre Stelle. Als der Prinz grübelnd die Laube betritt – grübelnd, weil die Götter ihm soeben mitgeteilt haben, er solle die Finger von Mandandane lassen – merkt er sofort, dass etwas passiert ist. »Ist’s möglich?« ruft er, »in meinem Herzen entwickelt, bestimmt sich das Gefühl: du kannst, du willst sie weggeben …. Mir ist’s, als wenn du es nicht wärest, als ob eine Fremde mir untergeschoben wäre.«
Mandandane hat genug gehört, um von ihrer Leidenschaft kuriert zu sein und auch der Prinz, nicht wissend, dass es nicht die Puppe ist, die vor ihm sitzt, beschließt auf seine Geliebte zu verzichten.
Als Oronaro jedoch kurz darauf noch einmal die Laube betritt und nun wieder seine Puppe vorfindet, ist er erneut »vom Zauberstrudel fortgerissen« und schwört seiner »geflickten Braut« die ewige Treue.
›Federhalterin‹ für diesen zweiten Beitrag ist ©Andrea Schütte-Bubenik,
der wir sehr herzlich danken.